Itziar Okariz, lrrintzi Repetition (Mute), 2009

Wanderung durch die Gedanken einer Künstlerin

Itziar Okariz im Kunsthaus Baselland
31.1.2017 – 16.7.2017
Kunsthaus Baselland

Von Karen N. Gerig

Karen N. Gerig ist Autorin von Artinside

Ohne die Besucher läuft am Anfang nichts. Für den passenden Hintergrundsound in der Ausstellung von Itziar Okariz im Kunsthaus Baselland müssen sie einen Plattenspieler in Gang bringen. Zunächst hört man nicht viel, eine Art Rauschen. Dann schält sich entferntes Geplauder heraus. Jemand beginnt zu klatschen. Erst allein, bald klatscht jemand mit. Und immer mehr, bis der Applaus fast ohrenbetäubend ist. Und schliesslich abbricht.

Was wir gehört haben, ist eine Performance der baskischen Künstlerin, aufgeführt zur Eröffnung des Guggenheim Bilbao im Jahr 2007. Sie habe ganz allein im Raum gestanden, mitten im Vernissagenpublikum, ausgezeichnet als Künstlerin nur durch ein Mikrofon, erzählt sie. “Ich fühlte mich verwundbar”, sagt sie. Irgendwann habe sie mit dem Klatschen angefangen. Und gespannt darauf gewartet, was passiert.

“Es war meine erste Performance mit Publikum”, erklärt sie. Es sei ein entspannender, aber auch merkwürdiger Moment gewesen, als die erste Person zurückgeklatscht habe. Plötzlich sei es nicht mehr um die Reaktion des Publikums gegangen, sagt sie. Die Frage sei jetzt eine andere gewesen: “Wann und wie höre ich auf?”

Itziar Okariz hat die Performance später wiederholt, in der Reina Sofia in Madrid. Auf einer Bühne während eines Dinners. “Da hat es überhaupt nicht funktioniert. Der Applaus des Publikums kam erst, als ich von der Bühne ging”, erzählt sie.

Im Dialog mit einem unsichtbaren Publikum
Ein direktes dialogisches Moment ist in Okariz’ Schaffen nicht immer gegeben, auch wenn es ihr meistens um Kommunikation geht. Das Publikum aber kann auch ein gedachtes sein, beispielsweise in der Videoarbeit “How d’ye do?”, die an der Kunstmesse Arco zu sehen war. Okariz reagiert darin auf Fragen und Zurufe unsichtbarer Besucher.

Itziar Okariz, To Pee in Public or Private Spaces. New York Subway, 2004
Itziar Okariz, To Pee in Public or Private Spaces. New York Subway, 2004

Zentrale Elemente im heutigen Schaffen der 51-jährigen Künstlerin sind vermehrt Struktur und Sprache, auch wenn ihr Werk in früheren Jahren einer Genderdiskussion entsprang und sich hauptsächlich um die Konstruktion von Identität drehte. Einige Werke zeugen im Kunsthaus Baselland davon und geben der Schau den Hauch eines retrospektiven Rahmens. Dazu gehört die Werkserie “To Pee in Public or Private Spaces”. Darin ist Okariz selbst zu sehen, wie sie an unterschiedlichen Orten und in unterschiedlichen Settings öffentlich uriniert: Rock hoch und pinkeln, ein Verhalten, das zunächst irritiert.

Irritation führt automatisch zu einem Hinterfragen, was wiederum zur Folge hat, dass man manches erst durch die Irritation versteht beziehungsweise erkennt. Für Okariz ist Irritation deswegen zwingend. Auch der eingangs erwähnten Arbeit “Applause” ist sie inhärent.

Ein aus dem Kontext gerissener Ausruf
Und auch die Performance “Irrintzi Repetition” spielt damit. Irrintzi ist ein traditioneller baskischer Ausruf, der an Demonstrationen, Beerdigungen oder Freudenfeiern gleichermassen Gebrauch finden kann. Einem gutturalen Trällern gleich funktioniert der Schrei wie ein Wort, das nichts Konkretes bezeichnet, aber unterschiedliche Bedeutungen haben kann. Okariz löst den Schrei aus seinem traditionellen Kontext, indem sie ihn auf internationale Museumsbühnen bringt.

Itziar Okariz, Irrintzi Repetition, 2007. Installationsansicht Kunsthaus Baselland, 2017. Foto: Serge Hasenböhler
Itziar Okariz, Irrintzi Repetition, 2007. Installationsansicht Kunsthaus Baselland, 2017. Foto: Serge Hasenböhler

“Irrintzi Repetition” läuft im Kunsthaus Baselland in einer Videoinstallation, die alle zehn Sekunden für zehn Minuten unterbrochen wird. Eine einminütige Performance wird so in Einzelteile fragmentiert – vor allem deswegen, weil das laute Ausrufen dem Publikum kaum dauerhaft zugemutet werden kann.

Aber auch, weil das Fragmentieren zur Ausstellung passt, denn Fragmente spielen in den neuesten Werken von Itziar Okariz eine tragende Rolle. Fünf Videoprojektionen zeigen alltägliche Situationen wie einen Wasserlauf oder die Struktur eines Bodens, jedoch immer nur ausschnitthaft, so dass die Imagination des Betrachters den Raum ausserhalb des Rahmens füllen muss.

Der Raum zwischen den Worten
“Alles ist Raum – auch der Zwischenraum”, sagt Okariz und formuliert damit, um was es ihr in ihrem Schaffen geht. Um den Raum, den man beschreitet. Den man mit Lauten füllen kann. Um das, was zwischen Performer und Publikum liegt. Oder um das, was zwischen Worten liegt. Plastisch führt sie das in ihrer aktuellsten Arbeit vor: Im “Dream Diary” zeichnet sie ihre Träume auf, seit November 2016 bis jetzt und laufend weiter.

Itziar Okariz, Video Notes, 2017. Installationsansicht Kunsthaus Baselland, 2017. Foto: Serge Hasenböhler
Itziar Okariz, Video Notes, 2017. Installationsansicht Kunsthaus Baselland, 2017. Foto: Serge Hasenböhler

Es sind Sätze, die Okariz nachts in ihr Mobiltelefon tippt. Und die sie dann setziert. Auf grossformatigen Blättern schreibt sie die Sätze auf, lässt einzelne Wörter weg, setzt wieder dazu, immer ausgehend vom Ursprungssatz. So entsteht nicht nur ein visuell wahrnehmbares Bild, sondern auch unterschiedliche Bedeutungsebenen, weil der Inhalt eines Satzes sich ändern kann, wenn ein oder zwei Wörter wegfallen.

Das Lesen fühlt sich an wie das Durchwandern eines nie still stehenden Gehirns. Gedankenfragmente, die gleichzeitig noch aus zwei Lautsprechern dringen und sich überlagern, mal leiser, mal lauter.

Die Ausstellung wird so zur Wanderung durch die Gedanken einer Künstlerin, die von Raum zu Raum mehr in die eigenen einsinken und sich mit ihnen mischen. Der eigene Raum wird beträchtlich erweitert – und der Applaus am Ende gebührt nicht dem Publikum, sondern der Künstlerin.

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